Der Donnerhall des Bundesverfassungsgerichts von Thomas Seidel

Bundesverfassungsgericht (Archivbild)
Quelle: wikipedia, CCL
Bundesarchiv, B 145 Bild-F080597-0004 /
Reineke, Engelbert / CC-BY-SA 3.0


Das deutsche Bundesverfassungsgericht hat mit einem einzigen Urteil schlicht das gesamte Funktionieren Europas und darüber hinaus in Frage gestellt. Während sich die ganze Welt im Strudel der schlimmsten bis heute bekannten Pandemie befindet, kippt ein achtköpfiges deutsches Richtergremium mal eben so die Art der Staatsfinanzierung der letzten 25 Jahre. Die langfristigen Folgen dieser Entscheidung sind für die meisten Menschen heute unabsehbar.

Zu Zeiten der europäischen Kunstwährung ECU, also vor allem in den 1980er Jahren, dröhnten die geldmarktpolitischen Entscheidungen des Zentralbankrats der Deutschen Bundesbank an nahezu jedem zweiten Donnerstag wie ein Donnerhall durch die im ECU angeschlossenen Länder, zu denen übrigens auch Großbritannien mit seinem Britischen Pfund gehörte. Schnell mussten sich die anderen Zentralbanken den deutschen Beschlüssen anpassen, wollten sie nicht die Stabilität des gesamten Systems gefährden. Genau dieser Zwang war vor allem für Frankreich unter seinem damaligen Präsidenten Francoise Mitterrand unerträglich. Der trotzte mit dem einzigen Mittel das ihm seinerzeit politisch zur Verfügung stand, nach dem Mauerfall im November 1989 dem deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl die Abschaffung der Deutschen Mark und die Entmachtung der Deutschen Bundesbank ab, für seine Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung.

Der €uro kam und mit ihm die Europäische Zentralbank (EZB) und Frankreich erhielt scheinbar was es wollte, den Kontrollverlust der Deutschen über die führende Währung Europas. Die EZB etablierte sich und funktioniert als Zentralbank technisch nicht nur tadellos. Nein, sie ist überhaupt die einzig vernünftig funktionierende europäische Institution geworden. Die Politik der EU-Mitgliedsländer versäumte geflissentlich, der EZB noch andere funktionieren Mechanismen zur Seite zu stellen, wie etwa eine Banken- und Kapitalmarktunion, vor allem aber eine gemeinsame Fiskalpolitik. 

Bis heute ist es für jeden  nationalen Parlamentarier in der EU undenkbar, sein vornehmstes Recht, das Budgetrecht auf eine supranationale Ebene zu übertragen und dadurch seine eigene, üppig bezahlte, Daseinsberechtigung in der Politik zu verlieren. 

Dann kam die Finanzkrise von 2008, die Griechenlandkrise und die €urokrise und mit einem einzigen Satz "... whatever it takes..." schnappte der damalige EZB-Präsident Mario Draghi jegliche Marktspekulation gegen den €uro einfach weg. Orientiert am sinnlosen Beispiel Japans, spülten Draghi und seine Kollegen vom amerikanischen Federal Reserve System (FED) mit bis dahin unvorstellbaren Mengen an Liquidität scheinbar alle Probleme einfach hinfort. Man kaufte in verschiedene Programmen zu Billiardenbeträgen indirekt über Privatbanken vor allem Staatsanleihen an. Klar war von Anfang an, dass die Zentralbanken diese Programm immer wieder würden verlängern müssen, da die meisten Staaten niemals das Geld würden aufbringen können, ihre Anleihen jemals wieder zurück zu zahlen. 

Denn unter keinen Umständen sollten der erreichte soziale Status Quo, übrigens auch in Deutschland, im Kern in Frage gestellt werden. Die Bürger in den Ländern der EU wollen bis heute nicht wahrnehmen, dass sie im längst stattfindenden globalen Weltwirtschaftskrieg in den nächsten Jahren die Hauptverlierer sein werden, wenn es nicht gelingt deutlich innovativer und produktiver zu sein. Das wird nicht ohne die Aufgabe erheblicher Bequemlichkeiten abgehen. Bequeme Arbeitszeiten, Frührentenforderungen, überlange Urlaubsansprüche, eine rundum soziale Absicherung, Selbstverwirklichungsträume, Spitzenverdienste und  eigene Vermögensbildung, all das kann man von heute an getrost in der Pfeife rauchen.

Denn nach langen Jahren der Stille erklang er heute wieder in ganz Europa, der Donnerhall aus Deutschland. Diesmal nicht von der Deutschen Bundesbank in Frankfurt, sondern vom deutschen Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Es ist nicht ganz klar, ob sich die Richter in Karlsruhe der Tragweite ihrer Entscheidung wirklich bewusst sind. Die Exekution dieses Urteils ließe sich nur durch ein Ausscheiden Deutschlands aus dem €uro und letztlich aus der Europäischen Union aufhalten. Wenn das politisch nicht gewollt wird, kommen auf alle EU-Bürger die schwersten Zeiten zu. 

Denn dann ist Schluss mit Lustig für alle Politiker in allen Staaten der EU. Dann ist Schluss mit üppigen unbezahlbaren Wahlversprechen an die jeweilige politische Klientel. Dann ist Schluss mit dem Emittieren ungedeckter Staats-Schuldscheine. Dann ist Schluss mit der indirekten Staatsfinanzierung durch die Europäische Zentralbank. Dann müssen von heute an die EU-Bürger wieder die, durch ihre Regierungen für sie gemachten, Staatsschulden zurück zahlen. 

Wohl an denn arbeitende Bevölkerung, legt schon mal eine Schippe drauf und zwar jeden Tag ein bisschen mehr. Der Großteil Eures erarbeitenden Geldes muss künftig für die Schuldentilgung aufgebracht werden. Ein ehemaliger Dresdner Bank Vorstand Leonhard Fischer hat einmal scherzhafter Weise in einer Veranstaltung ungefähr folgende These aufgestellt: Wenn alle Zentralbanken der Welt zum einem absolut gleichen Zeitpunkt alle gegenseitigen Schulden für einander als aufgehoben erklären würden, wäre die Welt diese Schulden mit einem Schlag los. Diese Chance ist vertan! Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden: Alle Schulden müssen ordentlich zurück gezahlt werden. Wie klug dieses Urteil ist, kann nur die Zukunft zeigen.

Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Herrschaft der Minderheiten - Ein Essay von Thomas Seidel-

Erneute Verschleierung durch die SPD: Das Ende der Fallpauschale im deutschen Gesundheitswesen -von Thomas Seidel-

Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel