Norbert Blüm -Karriere eines Bundessozialministers- Eine Nachschau von Thomas Seidel-

Norbert Blüm auf dem CDU Bundesparteiltag in Mainz 1986
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Bundesarchiv, B 145 Bild-F073616-0021 / Schaack, Lothar / CC-BY-SA 3.0)
Wenn heute das durchschnittliche Rentenniveau in Deutschland bei 48 Prozent liegt, sich Menschen nach 45 Jahren Arbeit ihr täglich Brot von den Tafeln holen müssen, vor allem Frauen im Alter bitter verarmen, Kinder durch die Kosten für die Pflege der Eltern nahezu ruiniert werden und Berufstätige durch einen Burnout im Höhepunkt ihrer Schaffensphase völlig ausgemergelt sind,  dann ist das Alles vor allem mit einem Namen verbunden, Norbert Blüm!

Der langjährige bundesdeutsche Arbeits- und Sozialminister, der in dieser Funktion während der gesamten Regierungszeit Helmut Kohls im Amt war, galt vielen als das soziale Gewissen und Gesicht der Kohl-Zeit. Helmut Kohl selbst kannte nur ein einziges Regierungsprogramm, den persönlichen Machterhalt. Dieser Prämisse ordnete er alles andere unter. Niemand seiner Gefolgsleute durfte intellektuell Kohl überlegen sein. Norbert Blüm war für den Kanzler Kohl der ideale Gehilfe. Er was ihm gegenüber loyal, erschien beim Wählervolk jovial, war Gewerkschafter und gleichzeitig katholisch.

Tatsächlich stieg der, im Rheingau geborene, Norbert Blüm über den bis heute in Deutschland belächelten 2. Bildungsweg auf. Er machte zunächst nur einen Volksschulabschluss, wurde Werkzeugmacher bei Opel (hessisch: "Obbel") und IG-Metall-Gewerkschafter. Im Abendgymnasium schaffte er das Abitur, studierte in Bonn und promovierte ganz ordentlich zum Dr. phil. In Hessen geboren und im Rheinland gelebt, konnte Blüm vor allem immer eins, "gud babbele" wie es so schön im Hessischen heißt. Das waren die idealen Voraussetzungen für eine machtvolle und lange politische Karriere. 

Helmut Kohl 2012
(Quelle: wikipedia, CCL, Urheber: Konrad Adenauer Stiftung https-//www.flickr.com/photos/kasonline/7886352756/)


Helmut Kohl ließ seinen Arbeits- und Sozialminister all die 16 Jahre lang gewähren. Kohl selbst hatte keinen Draht zu sozialen Fragen. Ihm war dieses Thema einfach nur lästig, zuweilen sogar zuwider. Jedenfalls waren bereits Anfang der 1980er Jahre die demoskopischen Zeichen der Bevölkerungsentwicklung unübersehbar. Der Anteil der arbeiteten Bevölkerung schrumpfte, eine massive Reform des Rentensystems war unumgänglich. Politisch völlig ignoriert wurde die Lebensarbeit der Frauen und vor allem der Mütter und Teilzeitarbeiterinnen. Sie waren und sind das gesellschaftliche Rückgrat der Nation, dürfen dafür aber heute bei den Tafeln Schlange stehen, um sich überhaupt ernähren zu können. Nötig wäre gewesen, langsam aber konsequent die Lebensarbeitszeit zu erhöhen, die Betriebe massiv an der privaten Altersvorsorge zu beteiligen und jede weitere persönliche Altersrücklage steuerlich nicht nur zu entlasten sondern sogar zu fördern.

Doch Blüm war zu sehr der stramme Gewerkschafter und lehnte seine Politik daher vor allem an deren Interessen an. Die Gewerkschaften schwelgten aber in ganz anderen Plänen. Weitere Verkürzungen der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich und Frühverrentungen sollten die Arbeitgeber zwingen, mehr Personal einzustellen. Man strebte eine abstrakte Verringerung der Arbeitslosenzahl an. Der Schuss ging voll nach hinten los. Kein Arbeitgeber stellte deshalb auch nur einen einzigen Arbeitnehmer mehr ein. Um die ohnehin schwache Produktivität im internationalen Vergleich nicht noch weiter absinken zu lassen, mussten die in den Betrieben verbleibenden Arbeitnehmer pro Stunde noch viel mehr leisten als vorher. Der Druck auf den Einzelnen ist von den Betroffenen oft nicht mehr zu bewältigen. Die Folge: massenweise ausgebrannte Leute im besten Alter, die kostenaufwendig wieder erholt werden müssen, oder gar ganz aus der Arbeitsmühle ausstiegen.

(Quelle: Bundeszentrale für politische Bildung)
Die Kosten der Rente waren nicht mehr zu bezahlen. Die Beitragsätze wollte man nicht deutlich anheben, weil die Arbeitgeber ja zur Hälfte an den Kosten beteiligt sind. Man senkte also lieber das Rentenniveau ab. Lag das Nettorentenniveau 1982 noch bei rund 58 %, sank es kontinuierlich auf inzwischen etwa 46 % ab. Das Bittere daran, Staaten wie die Niederlande und Österreich bekommen von der OECD auch heute ein Rentenniveau um die 80 % bescheinigt. Nie konnte eine Regierung an der Norbert Blüm beteiligt war, sich durchringen, mit klaren steuerlichen Förderungen einen privaten Anreiz zur Schließung der Rentenlücke zu geben. Das Alles sollte erst viel später durch die verhasste Regierung Schröder (SPD), in Form von Hartz IV, Riester-Rente, Rürup-Rente usw. in Angriff genommen werden. Schon den Zeitgenossen war klar, der einstige Wahlspruch 'die Rente sei sicher' war ein einziger Hohn.

Wie wenig sich die Kohl-Regierungen und in sozialen Belangen Norbert Blüm der gesellschaftlichen Wirklichkeit stellen wollten, konnte man schon früh an der Frage der Alterspflegeproblematik ablesen. Lange Zeit lehnten die Kohl-Regierungen eine gesetzliche Pflegeversicherung ab. Erst Mitte der 1990er Jahre, also in der letzten Regierungsphase von Kohl, brachte man, und dann auch nur auf äußeren Druck hin, ein Pflegeversicherungsgesetz zustande. Es blieb jedoch bei einer halbherzigen Teilkaskoversicherung mit nicht kostendeckenden Pauschalbeträgen für Pflegeleistungen. Die Folgen: Je höher der Pflegebedarf einer Person, desto deftiger fallen die Zuzahlungen der unterhaltspflichtigen Angehörigen, also der eigenen Kinder, aus. Quasi erst kurz vor deren finanziellen Ruin, springt vielleicht dann die Sozialkasse mit ein. Doch schlimmer noch, die Pflegeversicherung begünstigt seitdem die massenweise  Entstehung von Pflegedienstleistern, die Heerscharen von schlecht bezahltem Pflegepersonal vor sich hertreiben, was bei diesen Ausgebeuteten langfristig wiederum zu einem nicht ausreichenden Renteneinkommen führt. Ein sozialversicherungstechnischer Teufelskreis.

Während Norbert Blüm als unterhaltsamer Dauergast in deutschen Talkshows und ähnlichen niederkognitiven Fernsehshows auftrat, sind bis heute auch die diversen Merkel-Regierungen nicht in der Lage gewesen, all die massiven Fehler blümscher Sozialpolitik auch nur ansatzweise zu korrigieren. Man sollte dringend damit aufhören eine falsche Politik kritiklos fortzuführen, nur weil der Verantwortliche als Mensch auch völlig zurecht einem sehr sympathisch war.

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