Der politische Entscheidungsnotstand bringt Europa in Gefahr -Bericht vom ersten Forum Europe- von Thomas Seidel


Eine Konferenz in neuem Format: Mehrere Standorte sind videotechnisch
zusammen geschaltet. Eine enorme Reichweitenerhöhung.
(Quelle: Corporate Group Maleki)


In den Zeiten, wo das politische Europa immer mehr auseinander triftet, versucht die Finanzindustrie von den gemeinsamen Projekten zu retten was zu retten ist. Begleitet wird das durch ein neues Format, die Konferenz Future Europe. Die Corporate Group Maleki hat dazu eine Simultan-Konferenz organisiert. Teilnehmer konnten gleichzeitig in Frankfurt, Amsterdam, Paris und London ihre Beiträge leisten. Dem an allen Standorten hochkarätig besetzten Forum, gelang ein erfolgreicher Einstieg. Die Veranstaltung soll halbjährlich fortgesetzt werden.

Das Grußwort richtete Dr. Andreas Dombret, bis vor kurzem Vorstandsmitglied der Deutschen Bundesbank, an die Teilnehmer. Dieses Format käme zum rechten Zeitpunkt. Was an europäischen Initiativen für einen gemeinsamen Finanzmarkt begonnen wurde, müsse zu Ende geführt werden. So müsse nach den Anfängen der Bankenunion nun die Kapitalmarktunion angegangen werden. Dabei sei zu entscheiden, ob das mit oder ohne Großbritannien geschehen soll. Vorsichtig deutet Dombret die Notwendigkeit an, in Europa auch die Verbindlichkeiten zu teilen.

Dr. Andreas Dombret richtet sich an alle Teilnehmer
(Quelle: Thomas Seidel)
In einer eingespielten Ansprache mahnte anschließend Peter Praet, Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank (EZB), die traditionell nationalen Bindungen der Banken seien ein weiterer Risikofaktor. Das behindere die Bildung eines wirklichen gemeinsamen Finanzmarktes in Europa. Dringend sei eine europäische Lösung für eine Garantie der Kundeneinlagen zu finden. Im Falle eines Bankzusammenbruchs würde es sich auch künftig nicht vermeiden lassen, den Steuerzahler als indirekten Garanten mit heran zu ziehen.



Finanzierung der EU-Wirtschaft
Nach diesen Aufrufen beginnt das erste Panel, unter der Überschrift „Finanzierung der EU-Wirtschaft“. Philippe Oddo, Chef der französischen ODDO Bank, der vor nicht allzu langer Zeit die traditionsreiche deutsche BHF Bank aus dem Bestand der Deutschen Bank aufgekauft hat, begründete sein Engagement damit, eine Expertise auf dem deutschen Markt zu erhalten. Oddo glaubt daran, dass man das gemeinsame Potential der Länder Frankreich und Deutschland heben könne, wenn es gelänge, die Mitarbeiter aus beiden Ländern zur Zusammenarbeit bringen zu können.

Oddo erachtet das deutsche Bankensystem als sehr stark und wirkmächtig. Das sei vor allem wegen den Sparkassen und Genossenschaftsbanken so. Die traditionelle Kapitalmarktabstinenz der Deutschen sieht Oddo in der Scheu vor Fremdfinanzierung und stellt gleichzeitig die Frage, ob der Mittelstand wirklich einen Kapitalmarkt brauche. In Frankreich sei man in diesem Thema weit offener. Oddo gibt zu bedenken, dass zwischen 2007 und heute das Volumen des Kapitalmarktes in Europa um 40 Prozent geschrumpft sei, während im gleichen Zeitraum in den USA eine Zunahme um 130 Prozent stattgefunden hätte.

Ein Frankfurter Panel: v.l.n.r. Gerhard Schröck, Philippe Oddo,
Stefan Collignon, Michael Rüdiger, Joachim Würmeling
(Quelle: Thomas Seidel)
Wie Peter Praet sieht auch Oddo die fehlende Lösung bei der Depositenversicherung als Haupthindernis für europäische Bankenfusionen. Man könne nicht deutsche Depositen für die Finanzierung in anderen Ländern heran ziehen.

Der amtierende Bundesbankvorstand Prof. Dr. Joachim Würmeling erklärt, Europas Blick nach Aussen sei bislang immer durch den Kapitalmarkt in London geschehen, welcher jetzt aber durch den Brexit für Europa wegfalle. Würmeling wünscht sich durch neue Technologien das Entstehen einer Plattform, auf deren Basis ein Abbau der sehr fragmentierten Finanzmärkte in Europa geschehen könnte. Den Euro sieht Würmeling auch noch in zwanzig Jahren als die gemeinsame europäische Währung. Zur Zeit gebe es eine mehr als reichliche Liquidität. Doch könnte die Kapitalversorgung einiger Länder in Europa durch den Brexit teurer werden. Für diesen Fall müsse Europa Vorsorge treffen.

Dr. Gerhard Schröck von Deloitte betont die Wichtigkeit einer Erholung der europäischen Bankenindustrie. Immerhin hänge hier die Unternehmensfinanzierung zu mehr als der Hälfte von Bankkrediten ab. Der Aufbau der europäischen Bankenaufsicht SSM (Single Supervisory Mechanism) zu einer anerkannten Institution innerhalb von nur vier Jahren, sei eine beachtliche Leistung. Freilich müsse die Aufsicht sich jetzt mehr zu einem qualitativen Ansatz nach US-amerikanischem Vorbild hin bewegen und nicht nur wie bisher den quantitativen Ansatz verfolgen. Das bedeutet, die Finanzaufsicht muss die Geschäftsmodelle und die Komplexität der Geschäfte besser untersuchen.

Mit dem zweiten Panel zum gleichen Thema flossen auch Beiträge aus den, per Video zugeschalteten, Plätzen Paris, London und Amsterdam ein.

Lorenzo Bini Smaghi, der verhinderte EZB-Präsident und heute Aufsichtsratschef der französischen Großbank Sociétè Generale, betont die Notwenigkeit eines europäischen Kapitalmarkts. Gleichzeitig beschreibt er die Hindernisse. Es werde keinen Kapitalmarkt geben, solange es keine paneuropäischen Banken gibt. Die würden aber nicht ohne eine europäische Depositenversicherung entstehen können. Während in den USA die Banken größer und größer würden, gäbe es in Europa zu viele kleinteilige Banken. Für all das sollten Deutschland und Frankreich gemeinsam nach vorne schauen und sich an den USA orientieren. Dann brauche es einen Zeitplan, den man Schritt für Schritt abarbeite.

Austausch über Grenzen hinweg: Roland Boeckhout Amsterdam o.l.,
Lorenzo Bini Smaghi Paris u.l., Minouche Shafik London o.r.
Andreas Dombret u.r.
(Quelle: Thomas Seidel)
Der Niederländer Roland Boeckhout, Vorstandsmitglied bei der niederländischen ING Bank, ist sehr skeptisch in Sachen Kapitalmarkt. Europa fehle dafür schlicht die Kenntnis und die Fähigkeiten. Die "skills" seien nach wie vor in London. Er beklagt das mangelnde Gefühl der Solidarität in Europa. Es fehle an Versachlichung. Es gäbe zur Zeit in Europa eine Menge Emotionen aber keine europäischen Lösungen.

Der Präsident der deutschen Bankenaufsichtsbehörde Felix Hufeld wundert sich, dass man erst vor kurzer Zeit vor zu großen Banken gewarnt habe „to big to fail“, jetzt aber wieder von global wettbewerbsfähigen Banken rede. Das Problem in Europa sei, es gäbe viel Kapital welches nach lohnenden Investitionen suche, diese aber in Europa nicht ausreichend finde. Hufeld unterscheidet zwischen Aufsicht, die eine tägliche Arbeit im Detail mache und der Regulation, die er mehr als politische Arbeit sieht.

Gleichzeitig nahmen in Frankfurt teil: v.l.n.r. Felxis Hufeld, Andreas Dombret,
Harald Kayser
(Quelle: Thomas Seidel)
Immer wieder wird von den Teilnehmern der fehlende europäische Kapitalmarkt thematisiert. Harald Keyser, in Kürze Aufsichtschef der PwC Europe SE in Berlin, empfiehlt denn auch, die Abhängigkeit vom Londoner Kapitalmarkt zu reduzieren. Dazu brauche es in Europa mehr Standardisierung und Harmonisierung und weniger Wettbewerb zwischen Standorten wie Paris, Amsterdam, Luxemburg und Frankfurt. Als Haupthindernis sieht Keyser allerdings den politischen Entscheidungsnotstand.




Stärkung der EURO-Zone
In den nächsten Runden steht das Thema Stärkung der EURO-Zone im Mittelpunkt. Eine Einleitung gibt der ehemalige niederländische Finanzminister und Vorsitzende der EURO-Group Jeroen Dijsselborn. Für ihn sind die wichtigsten Hausaufgaben die Vollendung der Bank- und Kapitalmarktunion, aber auch mit einer Verbesserung der Arbeitsmärkte und Pensionssysteme zu beginnen.

Aus der Arbeit im EU-Parlament berichtet Jakob von Weizsäcker. Neue europäische Projekte müssten den Nachweis erbringen, dass sie Schritt für Schritt auch etwas bewirken. Er nennt hier beispielhaft das Thema Frontex. Vor jeder Finanzierung müsse klar sein, was bewirken 10.000 Leute mehr an den Aussengrenzenß Doch fürchtet von Weizsäcker ein Ende des europäischen Projekts. In immer mehr Ländern gehe die politische Ausrichtung dahin, nur noch Pro oder Contra der Europäischen Union zu sein. Das Bewusstsein für die Gemeinsamkeit schwinde.

Auf die typisch preußisch-wilhelminische Art („am deutschen Wesen soll die Welt genesen“) präsentierte sich der einzige Vertreter der deutschen Bundesregierung Thomas Steffen, Staatssekretär im Bundesfinanzministerium. Für ihn ist der quälende Schuh zur Zeit auch das ungelöste Problem einer europäischen Depositenversicherung. Viele andere Ansätze wie Asylpolitik, gemeinsame Unternehmensbesteuerung usw. mögen auch wichtig sein, doch die Depositenversicherung hindere zur Zeit alles. Die gibt es freilich aber nur nach deutschem Vorbild und der immer wieder geforderten Katharsis von faulen Krediten.

v.l.n.r.: Jörg Zeuner, Lüder Gerken, Stefan Collignon,  Thomas Steffen,
Jakob von Weizsäcker
(Quelle: Thomas Seidel)
Der frühere Governor und heutige Professor an der London School of Economics Lord Mervyn King doziert zunächst über die verlorene Wettbewerbsfähigkeit der südlichen Länder in Europa. Das könnten sie innerhalb des Euro nicht durch Abwertung kompensieren. Deshalb müsse es zu einer internen Abwertung kommen, was aber eine hohe Arbeitslosigkeit auslösen würde. Alternativ könne man aber auch eine Inflation etwa in Deutschland und den Niederlanden fördern. Die dritte Möglichkeit bestünde darin, in Europa Transfers vorzunehmen (das deutsche Reizthema schlechthin). Dazu würde man zwangsläufig kommen. Geht man diesen Weg, ohne das Wahlvolk entsprechend aufzuklären, würde es nur die rechten radikalen Kräfte stärken. Ein weiteres Problem sei die fehlende demokratische Legitimation. Auf keinen Fall dürfe die Politik die Wahrheit verschweigen. (Anm.d.Red.: Ist das eine britische Erkenntnis aus dem Brexitvotum?) Dann versteigt sich Lord Mervyn King zu der Aussage: Nicht Großbritannien verlasse die Europäische Union, sondern die EU entlasse Großbritannien. Schließlich erklärt King das Versagen der Brexit-Befürworter. Was diese nicht geschafft hätten war, eine positive Begründung für den Verbleib in der EU zu geben. Sie argumentierten lediglich mit den Kosten, die ein Austritt verursache. Damit könne man aber keine Abstimmung gewinnen. Ähnlich müsste die EU es schaffen eine positive Argumentation für Europa zu kommunizieren.

v.l.n.r.: Christian Sewing, Stefan Collignon, Norbert Röttgen
(Quelle: Thomas Seidel)
Dann breitet sich der geballte Pessimismus zu Europa in der weiteren Debatte aus. Es kommt zu Aussagen wie etwa von dem ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Enrico Latta, in Europa gäbe es zur Zeit entweder nur „Nein“ oder "Alpträume". Christian Sewing, jüngster Chef der Deutschen Bank, sieht einen Mangel an vermittelbaren Visionen für Europa. Der deutsche Parlamentarier Norbert Röttgen philosophiert, am Ende der Nachkriegszeit habe eine neue Epoche noch nicht begonnen. Es sei nicht klar welche Ordnung sich nun ergebe. Dafür herrsche eine tiefe Uneinigkeit. Es würden verschiedene Werte diskutiert, aber man wisse nicht welche sich durchsetzen werden. Deswegen habe man die Rolle der EU in der Welt neu zu bestimmen, dazu gehöre auch die Migrationsfrage. 

Wenigstens einen Sinn für eine vollendete Banken- und Kapitalmarktunion gibt schließlich der Präsident der Banque de France Francoise Villeroy de Galhau. Es gehe darum, die 400 Mrd. EURO privater Ersparnisse in Investitionen umzuwandeln.

Fazit
Einmal mehr hat diese Veranstaltung klar gemacht, die derzeitige Unfähigkeit der Europäischen Union zur gemeinsamen und konstruktiven Zusammenarbeit bringt das Projekt Europa immer schneller und immer grundsätzlicher in Gefahr. Mehr denn je scheint alles auf der Kippe zu stehen. Auch wenn die Banken geradezu um die Vollendung der Banken- und Kapitalmarktunion zu flehen scheinen, es gelingt ihnen allesamt nicht, sich intern von ihren nationalen Handlungskulturen zu trennen. Das gilt umso mehr für die Politik. Schon ist das proeuropäische Feuer, welches der französische Präsident Macron kurzzeitig zum Lodern brachte, wieder nur ein schwächliches Glimmen. Die Hoffnung auf Führung und Übernahme von Verantwortung für Europa durch Deutschland zerspringt wie ein aufschlagendes Kristallglas wegen eines absurden Machtstreits einer kleinen regionalen Volkspartei. Die Mächte der Beharrung auf nationalen Prioritäten sind allenthalben im Vormarsch, wenn nicht sogar bereits auf dem Durchmarsch. So zerbröselt Europa sich selbst oder wird von der globalen Wirklichkeit aufgerieben.


Nader Maleki hat ein neues Format etabliert
(Quelle: Thomas Seidel)


Kommentare

Beliebte Posts aus diesem Blog

Die Herrschaft der Minderheiten - Ein Essay von Thomas Seidel-

Erneute Verschleierung durch die SPD: Das Ende der Fallpauschale im deutschen Gesundheitswesen -von Thomas Seidel-

Südlich der Alpen* - Ein Reisebericht - von Thomas Seidel