CrossLend realisiert die Kapitalmarktunion von Thomas Seidel
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Wird der Fels von Luxemburg künftig die europäische Kapitalmarktbörse tragen? (Quelle: wikipedia Urheber: Streppel) |
Seit Jahren wird in Europa über die
Kapitalmarktunion laviert, ohne dass wirklich etwas passiert wäre.
Jetzt ist das innovative Unternehmen CrossLend aus Berlin dabei, eine
praktische Geschäftsidee in die Realität umzusetzen und endlich
einen funktionierenden Kapitalmarkt aufzubauen. In Frankfurt sprachen
wir ausführlich mit Oliver Schimek, dem Gründungs-Co CEO der
CrossLend GmbH, über den Stand und die Entwicklung dieses Vorhabens.
Kreditverbriefungen (engl. Asset Backed Securities ABS) galten in der letzten großen Finanzkrise als
eine der Hauptverursacher für eben jene Krise. Banken hatten
willkürlich ganze Pakete von Krediten zusammen geschnürt, ohne dass
man genau durchschauen konnte, was im Einzelnen in den Paketen
enthalten war. Danach wurden die Kreditpools in Schuldscheine
verbrieft und weiterverkauft. Der Anreiz für die Anleger damals
waren scheinbar hohe Renditeversprechen. Doch man kaufte meist die
Katze im Sack. Mit der Finanzkrise wurden nur allzu oft Kredite
illiquide und die Schuldscheine verloren schnell an Wert.
Intransparenz führte zu massivem Misstrauen unter den Banken.
Finanzmärkte brachen ein oder trockneten aus. Die Kreditversorgung
der Wirtschaft litt.
Nach der Verwirklichung der Bankenunion
strebt man in Europa auch eine Kapitalmarktunion an. Doch das Thema
wird schon allzu lange zerredet, ohne das sich bislang irgend etwas
konkretisiert hätte. Verschlimmert wird diese Situation durch den
beantragten Austritts Großbritanniens aus der Europäischen Union.
Schließlich ist London bis jetzt der einzige angemessene
Kapitalmarktplatz diesseits des Atlantiks, welcher künftig so für
Europa nicht mehr zur Verfügung stehen wird.
Die Innovation
An dieser Stelle setzt die Innovation
von CrossLend ein. Die ursprüngliche Idee, so Firmengründer Oliver Schimek, sei es
gewesen, einen peer-to-peer crossborder Lendingmarkt aufzubauen. Ein Marktplaz auf dem sich Private grenzüberschreitend gegenseitig Geld leihen und verleihen können. Dieses B2C-Geschäft hat aus Sicht des Firmengründers jedoch keine skalierbare Perspektive. Ganz anders das B2B-Geschäft. "Wenn man die Banke peer-to-peer-fähig macht", so Schimek, "eröffnen sich ganze neue Möglichkeiten". Die
eigentlich innovative Neuentwicklung sei die Einzelkreditverbriefung.
So würden keine undurchschaubaren Kreditpools mehr verbrieft,
sondern voll transparente Einzelkredite stünden hinter jedem Bond.
Doch im Verlauf der Produktentwicklung habe man erkannt, dass es viel
interessanter sei, die Banken selbst peer-to-peer-fähig zu machen.
Das bringe weitere Vorteile mit sich. Die eigentliche Kreditvergabe und Betreuung des Kunden verbleibe bei den Banken, welche die Kompetenz zur Kreditvergabe, die
Erfahrungen, die Modelle und nicht zuletzt die Kunden hätten. Durch
die Verbriefung könnten die Banken solche Kredite gleichwohl wieder
aus ihrer Bilanz bekommen, oder ein Kredit lande erst gar nicht vollständig in
der Bankbilanz. In einem Nebeneffekt könne eine Bank damit drohende
Klumpenrisiken abbauen. Klumpenrisiken bekämen Banken nicht aus
versehen. Vielmehr bildeten sich diese, weil eine Bank entweder in
einem bestimmten Sektor besonders gut sei, oder in einem Segment
besonders viele Kunden habe. Da wäre es doch besonders fatal, wenn
eine Bank ausgerechnet da wo sie besonders gut sei, sich aus
regulatorischen Gründen geschäftlich beschränken müsste. Könnte
eine Bank auf einem Marktplatz Kredite platzieren, würde es ihr
erlaubt, weiter in ihrer Kompetenz zu agieren. Auf der anderen Seite
des Marktes könnten Investoren in solchen Krediten Geld anlegen.
In Frage kämen dabei typischerweise Pensionskassen und
Versicherungen, also solche Investoren, die eine fixed-income-Rendite
benötigten. Aber auch regional aufgestellte Banken wären damit
durchaus in der Lage, sich ein europaweit diversifiziertes Portfolio
ins Haus holen zu können.
Die European Debt Exchange
Damit aber nicht genug. Sei man erst
einmal auf einer Bondstruktur zuhause, lässt sich ein Marktplatz
dafür bauen. Damit könne man dann das Liquiditätsrisiko aus dem
System für eine Anlage in Krediten heraus nehmen. Genau das schaffe
man gerade mit der CrossLend Securities SA, die in Luxemburg
angesiedelt ist. Dort habe man eine Lizenz der CSSF (Commission
de Surveillance du Secteur Financier; vulgo: Luxemburger
Finanzaufsichtsbehörde)
und
damit den so begehrten Europäischen Pass. Der erlaube es CrossLend,
Verbriefungen durchführen zu
können. Alle Kreditverbriefungen trügen eine eigene ISIN-Nummer,
würden über Clearstream abgewickelt und seien fungibel. So entstehe
derzeit die European Debt Exchange. Auch wenn der Fahrplan für die
volle Umsetzung der European Debt Exchange das Jahr 2018 vorsieht,
bestünde bereits ein erster Deal mit einem Volumen von 500 Mio €uro über einen Zeitraum von fünf Jahren.
Darüber hinaus hätten Originatoren und Investoren weitere Volumen
von 5 Milliarden €uro avisiert. Das Interesse sei bereits jetzt auf
beiden Seiten groß. Auf der Originatorseite als Bilanzentlastungs-
und Risikomanagement, auf der Investorenseite erkläre sich das
Interesse, vor dem Hintergrund des Nullzinsumfeldes, von selbst.
Nach
oben hin sind der Entwicklung der European Debt Exchange keine
Grenzen gesetzt. Hier entsteht der Nukleus eines europäischen
Kapitalmarktplatzes, der künftig auch unabhängig von London Europa
dienen kann. Dabei zeigt der Standort Luxemburg klare Vorteile: das
gesamte Ökosystem für einen Finanzplatz, die regulatorischen
Rahmenbedingungen, die große sprachliche Flexibilität, die
rechtliche Betreuung, die Kontakte mit den Wirtschaftsprüfern und
dem Regulator. Vor allem aber gäbe es in Luxemburg einen politischen
Willen, der sich dem Finanzsystem eng verpflichtet fühle. So habe
CrossLend selbst mit dem Luxembourg Future Funds nicht nur einen
Investor in die eigene Geschäftsidee gefunden, sondern sei sogar das
erste Projekt in das dieser Fund investiere. Starten wird CrossLend
demnächst in Luxemburg mit einer zunächst kleinen Mannschaft, die
sich vor allen auf die Investoren konzentrieren wird. Denkbar sei
auch, dass das was in Berlin entstanden sei, sich möglicherweise
nach Luxemburg verlagern wird.
Die
Verdienstmöglichkeiten
Durch
die Erfahrungen mit dem Nullzinsumfeld seien die Renditeerwartungen
der Investoren realistischer geworden. Man versuche mit einem Teil
seines Kapitals wenigstens kein Geld zu verlieren. Gerade die
Versicherer, die auf ihrer Liabilityseite Verpflichtungen von zur
Zeit zwei, drei oder vier Prozent erfüllen müssten, bewegten sich
mit ihren Renditeerwartungen in diesen Bereichen.
Renditevorstellungen wie sie etwa von Hedgefonds geäußert werden,
gäbe es nicht. Letztere seien auch nicht die Zielgruppe von
CrossLend. Dennoch gäbe es auch eine Nachfrage nach sehr
risikoreichen Anlagen, was man mit einem Kreditinvestment relativ gut
abbilden könne. So ließen sich die Pools bei den Investoren sehr
gut mischen. Das komme auch Kreditnehmern zugute, die möglicherweise
von einer Bank direkt keinen Kredit bekommen würden.
CrossLend
selbst verdient zunächst an einer Transaktionsgebühr. Zur Zeit
hätte man keinen direkten Wettbewerber. Solange man sich nur im
Konsumentenbereich bewegte, waren die Banken natürlich
Wettbewerber. Jetzt wo man Transaktionen zwischen Banken und Investoren ermögliche, seien die
Banken Partner geworden.
Die
Technologie
Die
Finanztechnologie fände sich hier nicht in einer App. App's seien
sozusagen FinTech 1.0, die eher einen oberflächlichen Zugang für
Kunden darstelle. Anwendungen nach FinTech 2.0 bedienten die
Wertschöpfungskette in den Banken selbst. Dort versuche man Prozesse
besser zu machen, beispielsweise beim Lending oder im
Zahlungsverkehr. CrossLend verstehe sich bereits als nächste Stufe.
Man versuche im regulatorischen Backend innovativ zu sein, einer Bank
zu erlauben, neue Produkte auf den Markt zu bringen, operative
Effizienzsteigerungen zu realisieren, sowie Kundenakquise- und
Kapitalkosten zu senken. Das seien die Vorteile für eine Bank, wenn
sie die CrossLend-Plattform nutzten. CrossLend greife also ganz tief
im Maschinenraum in die Prozesse bei den Banken ein. CrossLend biete
mit der künftigen European Debt Exchange, einer wirklichen Börse, ein voll transparentes Refinanzierungsinstrument für die Banken, wie sie es bis jetzt noch
nicht kennen. Einen Marktplatz auf dem Kreditrisiken europaweit
gehandelt werden könnten. Und das nicht nur aus der Emission heraus,
sondern auch in einer Sekundärtransaktion, etwa wenn ein Risiko
umgeschichtet werden müsse. Genau deshalb habe sich der Vernture-Arm der Chicago Mercantile
Exchange (CME), mit einem täglichen Volumen von zwölf mal dem
deutschen Bundeshaushalt die weltweit größte Börse, an CrossLend
beteiligt.
Die
weitere Zukunft
Schließlich
rundet Oliver Schimek das bereits Erreichte mit einem Ausblick auf
die Zukunft ab. Es gehe nicht einfach um die Verbesserung eines
Bankprozesses. Hier würde ein völlig neuer Prozess angeboten.
Aufgabe der Regulatoren sei es, dafür zu sorgen, dass das
ökonomische Umfeld um die Banken immer sicherer werde. Doch jedes
Regularium schneide in die Profitabilität der Banken ein. Mit Basel
III stiegen die Eigenkapitalanforderungen der Banken, bei einem
gleichzeitigen Rückgang von deren Ausleihkapazität. Das aber wolle
eigentlich keiner, denn schon jetzt gäbe es viel zu wenig
Kreditversorgung in Europa, worunter letztlich das Wachstum leide.
Bei CrossLend habe man die Gesamtheit aus regulatorischem und
politischem Interesse und der Return-on-Equity-Optimierung der Banken
im Visier. Das sei der „make or breake“ für Europa. Dessen
Zusammenhalt sei das Finanzsystem, die Kreditversorgung und die
dahinter stehende Ökonomie. Nur wenn es gelänge, dass die einzelnen
Partner von Europa einen Nutzen davon haben, in diesem Konstrukt
zusammen zu leben, wird Europa langfristig einen Bestand haben
können. Deshalb sei die Kapitalmarktunion ein so wichtiger Schritt.
Wenn man es schaffe, aus Krediten etwas Liquides zu machen, dann
nehme man ganz viele Risiken aus dem Geschäft. So könnten Banken
künftig mit den kreditgedeckten Bonds nicht nur eine
Risikosteuerung, sondern auch eine Liquiditätssteuerung vornehmen.
Die nächste Frage sei, wie man Liquidität im Sinne der
Handelbarkeit und Bewertbarkeit (rating) zusammen bringe, was
bislang so nicht gehe. Damit hat Schimek gerade mal den Zeithorizont
für die nächsten vier bis fünf Jahre geschildert.
Man
sollte sich wünschen, dass CrossLend all diese Vorstellungen und
Ideen zeitnah realisieren kann. Endlich könnte eine europäische
Kapitalmarktunion in der Praxis verwirklicht werden. Der Schub für
ein, vom Angelsächsischen losgelösten, Europa könnte
unvergleichlich sein. Gleichzeitig würde sich Europa vorbereiten
können, auf noch spannendere globale Herausforderungen, wie etwa
eine künftige Blockchain-Technologie, die sich bereits fern am
Horizont für die nächsten zehn bis fünfzehn Jahren abbildet.
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