Die deutsche Finanzwirtschaft kriegt die Kurve nicht -Bericht von der 22. Handelsblatt-Jahrestagung- von Thomas Seidel
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Dämmerung über den Frankfurter Bankenlandschaft (Quelle: ©EUROFORUM) |
Die Veranstaltung hat sich mit diesem Jahr endgültig zu einem Showformat gewandelt. Dafür spricht die Auflösung einer klassischen Reihen-Sitzordnung, zu Gunsten einer clubartigen Bestuhlung. Rockartige Musikeinlagen, farbige und teilweise grelle Lichteffekte verstärken den Eindruck einer Diskoatmosphäre. Dennoch steht das wichtigste Branchentreffen unter einer strammen Ablaufregie. Doch leider sieht man auch immer wieder die gleichen Sprecher und Gäste, die naturgemäß nur wenig Neues zu berichten haben. Ganz deutsch, ergoss man sich in der Kritik an der Geldpolitik der EZB und schwört sich gegen jeden Anflug von systemübergreifenden Bankfusionen ein.
John Cryan von der Deutschen Bank
Der CEO von Deutschlands, nach wie vor
mit Abstand, größtem Kreditinstitut sieht die Entwicklung der
Deutschen Bank seit letztem Jahr positiv. Wichtige aber kostspielige
Rechtsfälle seien abgeschlossen worden und erhebliche Einsparung
gelungen. Wie schon im letzten Jahr argumentiert Cryan mit auch
inhaltlich sehr ähnlichen Thesen:
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John Cryan Deutsche Bank (Quelle: ©EUROFORUM) |
Europas Bankenmarkt brauche mehr
Konsolidierung. Zu lange wurden zu viele schwache Banken mit durch
geschleppt. Spanien und Frankreich hätten 45 Prozent weniger Banken
als 2007. In Deutschland dagegen passiere so gut wie nichts. Die
Anzahl der Banken habe sich nur um 16 Prozent reduziert. Deutschland
muss sich entscheiden, ob es starke Banken haben will. Die Weichen
für den europäischen Bankenmarkt würden durch den Brexit gerade
neu gestellt. Für Deutschland tue sich dabei die Chance auf, in
Europa der führende Bankenmarkt zu werden.
Die Jobprofile im Bankgeschäft würden
sich dramatisch ändern und viele Jobs würden verloren gehen. Heute
arbeiteten manche Leute in der Bankenindustrie wie Roboter. Künftig
würden gerade solche Aufgaben von wirklichen Robotern erledigt. Die
Qualität der Jobs muss steigen und Mitarbeiter müssten einen
tatsächlichen Mehrwert erwirtschaften. In Deutschland sei die
Nichtbankenindustrie sehr innovativ und zukunftsorientiert, nicht
aber so die Bankenindustrie.
Der Standortgewinner des Brexit wird
Frankfurt sein, weil alle anderen Orte nicht die notwenigen
Strukturen auf dem Kontinent hätten. In Frankfurt gäbe es bereits
jetzt die Kanzleien, die Technik und den Service. Man müsse sich
entscheiden, ob man wirklich die europäische Finanzmetropole werden
will. Was fehle, sei noch ein dichteres Netz von Dienstleistern,
urbanen Wohnvierteln, und Internationalen Schulen. Auch brauche es
mehr Theater und, wohl vor allem für Angelsachsen sehr wichtig,
Gastronomie. Die Frage sei nicht, dass Geschäft nach Frankfurt
kommt, sondern wie viel Geschäft nach Frankfurt kommen wird. Die
Stadt und das Land Hessen müssten es nur wollen. Aber Cryan hat den
Eindruck, man wolle es.
Daniéle Nouy Bankenaufsicht bei der
EZB
Viel pessimistischer zeichnet die
Präsidenten der Europäischen Bankaufsicht bei der EZB die Lage der
Finanzindustrie. Die Zeiten für Banken seien immer noch schlecht.
Die Anforderungen der Aufsicht, (Wer dafür wohl verantwortlich
gemacht werden muss A.d.R.) allgemeines Kundenmisstrauen und das
Niedrigzinsumfeld machen den Banken das Leben schwer. Nur Wettbewerb
sorge für Effektivität. Das gälte besonders für Banken.
Wettbewerb unter den Banken brächte sogar mehr Stabilität in den
Finanzsektor, obwohl viele dieser Annahme widersprächen. In weniger
kompetitiven Märkten könnten Banken von ihren Kunden höhere Zinsen
nehmen, was allerdings der Wirtschaft schade. Einem einheitlichen
Bankenmarkt in Europa stünden vor allem noch unterschiedliche
Steuerregeln und die nationalen Insolvenzrechte entgegen. Weiterhin
müsse es möglich sein, dass Banken scheitern könnten, ohne gleich
das gesamte Finanzsystem mit in den Abgrund zu ziehen. Frau Nouy hält
die jüngsten gemanagten Bankzusammenbrüche für einen Beweis für
das Funktionieren des neuen Systems. Auch mahnt sie die Dringlichkeit
eines europäischen Einlagensicherungssystem an.
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Daniéle Nouy Bankenaufsicht bei der EZB (Quelle: ©EUROFORUM) |
Martin Zielke von der Commerzbank
Die Commerzbank sieht sich als
Verteidiger und Fürsprecher von Unternehmen und dem Mittelstand. Man
stemme sich gegen die Kritik an den Exportüberschüssen. Ein Fünftel
des Leistungsbilanzüberschusses sei auf gesunkene Rohstoffpreise
zurück zu führen. Die Konjunktur in Deutschland basiere vor allem
auf der inländischen Nachfrage. Der Anteil der Exporte im Euroraum
sei 1999 von 50 Prozent auf etwa ein Drittel gesunken. Inzwischen
würden deutsche Unternehmen Gewinne auch im Ausland anlegen und so
dort zur Schaffung von Arbeitsplätzen und Wertschöpfung beitragen.
Schließlich würden die vom deutschen Staat abverlangten
Investitionen in Infrastrukturen nur wenig die europäische
Konjunktur anheben. Die deutschen Unternehmen seien sehr effizient
und wettbewerbsfähig.
Überhaupt sei der Staat mehr
gefordert. Dieser müsse seine Investitionen nicht nur nominal,
sondern auch real erhöhen, was so seit zehn Jahren nicht geschehen
ist. Industrie 4.0 sei abhängig von modernen Netzinfrastrukturen.
Planungsverfahren und fehlende Planungskapazitäten der öffentlichen
Hand blockierten Investitionen. Nicht zuletzt seien die
Rahmenbedingungen für das Bankgeschäft so einzustellen, dass sie
ihre Kernfunktionen weiter wahrnehmen könnten.
Die Commerzbank stünde für 30 Prozent
der Aussenhandels-Finanzierung in Deutschland. Langjährige Kontakte
mit Unternehmen ermöglichten es der Bank, ihre Kunden weltweit in
ihrem Geschäft kompetent zu begleiten. Um Kunden professionell,
schnell und effizient dienen zu können, werde man in der Commerzbank
die Digitalisierung voran treiben. Noch müsse man sich gerade an
dieser Stelle verbessern, sieht Zielke selbstkritisch. So strebe man
schnelle und flexible IT-Systeme an, etwa um im nächsten Jahr den
Firmenkunden eine digitale Kreditvergabe anbieten zu können.
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Martin Zielke Commerzbank (Quelle: ©EUROFORUM) |
Bei so viel Selbstwerbung für die
Commerzbank fiel kein Wort über die geschäftliche Entwicklung der
Bank und vor allem darüber, mit welchem Geschäft die Commerzbank
gedenkt in Zukunft auskömmliche Erträge zu erzielen. Aber darüber
hat sich Zielkes Kollege Cryan von der Deutschen Bank ja auch
beharrlich ausgeschwiegen.
Wolfgang Schäuble
Bundesfinanzminister
In einem neuen
Format erprobte das Handelsblatt eine Direktschaltung via Satellit
nach Berlin und siehe da, am anderen Ende des Kosmos begrüßte man,
mit etwas Verspätung, den Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble.
Die Datenübertragung hatte eine Verzögerung von etwa zwei Sekunden,
ganz so als wäre man doppelt so weit weg wie der Mond, oder liegt
Berlin vielleicht sogar dort? Jedenfalls scheint es so weit mit der
Lichtgeschwindigkeit dann doch nicht her zu sein. Das war zwar nicht
das Thema von Herrn Schäuble, aber ein lebendiges Beispiel für den
aktuellen Zustand der Bundesnetzinfrastruktur.
Den Zustand Europas schilderte Schäuble
jedenfalls so: Die Stärkung der Handlungsfähigkeit Europas sei von
besonderer Bedeutung. Es gäbe einen zu großen Unterschied zwischen
vereinbarten Regelungen und Umsetzung. Das führe zu
Vertrauensverlusten. Risiken müssten zuvörderst reduziert werden.
Die EU-Kommission sei sehr kreativ in der Risikoverteilung aber nicht
in der Risikoreduzierung. Wer Risiken eingehe. müsse dafür auch die
Verantwortung übernehmen. Deshalb würde von der Politik im
Finanzsektor das Bail-In-Verfahren favorisiert. (Das scheint aber für
die Flugbranche so nicht zu gelten A.d.R.) Schäuble empfindet die
Diversifizierung der deutschen Bankenlandschaft als eine Stärke des
nationalen Bankensektors, selbst wenn das der kurzfristigen
Maximierung von Profiten entgegenstünde. Der amtierende
Bundesfinanzminister geht in Sachen Geldpolitik der EZB davon aus,
dass die gute Normalisierung der europäischen Wirtschaft zu einer
Normalisierung der Geldpolitik führen werde.
Positiv ist eine Klarstellung. Das
Europa ohne Großbritannien ist nicht der „Rest Europas“, sondern
die Europäische Union verliert nur ein Mitglied!
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Wolfgang Schäuble Bundesfinanzminister Eine neue Form von "Big Brother is watching You" (Quelle: ©EUROFORUM) |
Schäuble hofft auf den Lernprozess in
Großbritannien, dass es bei den Brexitverhandlungen nur noch um
Schadensbegrenzung gehen kann. Die Kapitalmarktunion sollte
besonders wegen des Austritts von Großbritannien verstärkt weiter
voran getrieben werden. Auch nach dem Brexit wird ein Teil des
Finanzgeschäftes in London bleiben. Frankfurt sei aber schon jetzt
der wichtigste Finanzplatz in Kontinentaleuropa.
Abschließend macht Schäuble deutlich,
dass die Digitalisierung und die Globalisierung ein
gesamtwirtschaftliches und gesamtgesellschaftliches Thema seien und
das Funktionieren aller Institutionen und sogar die Lebensweise der
Menschen sich dem anpassen müssten. Das Band zwischen den Bürgern
und der Politik dürfe trotz aller neuen Entwicklungen nicht
zerrissen werden. Schließlich sei es ein Vorteil freiheitlicher
Systeme, aus Fehlern lernen zu können.
Die anderen Säulen
Auch die
Spitzenvertreter der beiden anderen Säulen der deutschen
Bankenlandschaft, Georg Fahrenschon für die Sparkassen und Uwe
Fröhlich für die Genossenschafts- und Raiffeisenbanken kamen jeder
für sich zu Wort. Von ihren verbalen Werbefeldzügen der eignen
Verbünde einmal abgesehen, vertreten diese Verbandsvertreter
unabhängig voneinander gemeinsame Standpunkte. Man preist den
diversifizierten deutschen Bankenmarkt und stemmt sich gegen die
Vorstellungen von Daniéle Nouy bezüglich Konsolidierung und vor
allem eines gemeinsamen Haftungsmechanismus für Banken aus allen
möglichen europäischen Ländern. Einig ist man sich vor allem in
der Kritik an der Niedrigzinspolitik der Europäischen Zentralbank.
Man fühle sich direkt am Puls der Kunden und biete technologisch
nicht nur hochmoderne, sondern vor allem sichere Systeme für die
Kunden an. Keiner nimmt den Begriff von säulenübergreifenden
Fusionen auch nur in den Mund. Dieses Thema bleibt bei Deutschlands
Klein- und Kleinstfinanzinstituten und mit dem Segen eines noch
amtierenden Bundesfinanzministers nach wie vor reine Blasphemie.
Sonstige Gäste
Man weiß nicht,
ob man über die Ausführungen von Axel Weber von der UBS noch
besonders berichten muss. Von kleinen aktuellen Anpassungen
abgesehen, sind es die immer gleichen Inhalte und Argumente in den
letzten Jahren an verschiedenen Orten und zu unterschiedlichen
Gelegenheiten.
Karsten Kengeter
von der Deutschen Börse hängt nach der missglückten Fusion mit der
Londoner LSE erkennbar in den Seilen. Ihm, und auch dem Unternehmen
welchem er vorsteht, bleibt nichts übrig als die Ergebnisse der
Untersuchungen von Finanzaufsicht und Staatsanwaltschaft abzuwarten.
So befindet sich die Deutsche Börse auch als Unternehmen in einer
Phase strategischer Desorientierung.
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Axel Weber UBS (Quelle: ©EUROFORUM) |
Einen
interessanten Gedanken steuerte Herbert J. Scheidt von der
Schweizerischen Bankenvereinigung bei. Er bezeichnete die Zahlung von
Negativzinsen, in diesem Fall der Schweizerischen Banken an die
Schweizerische Nationalbank in Höhe von 1,2 Mrd SFR in 2016, als
eine Art Steuer.
Vielleicht wäre das einmal eine juristische
Argumentationskette für die klagefreudigen Deutschen, mit einem
Steuerargument gegen die Negativzinsen der EZB juristisch
anzustänkern. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht jüngst
ja entschieden, dass der Staat nicht so einfach eine Steuerart
erfinden kann, die durch die bundesdeutsche Verfassung nicht
abgedeckt ist. Also Herr Gauweiler, noch mal ran!
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Karsten Kengeter Deutsche Börse (Quelle: ©EUROFORUM) |
Hans-Walter
Peters, hauptberuflich CEO der Berenbank Bank und im Nebenjob zur
Zeit Verbandspräsident der privaten Banken in Deutschland, meint,
die Zeit für nationale Alleingänge in der Bankenaufsicht sei vorbei
und spricht damit Deregulierungspläne des amerikanischen Präsidenten
Donald Trump an. Inzwischen weiß man ja, dass die Ansichten des
amerikanischen Präsidenten nicht notwendigerweise auch die Ansichten
seiner Regierungsadministration sind. Daher hofft Peters wohl auch
auf eine Einsicht in der US-Administration bei diesem Thema.
Ansonsten entstünden für die Zukunft Probleme.
Zur Zeit gäbe es in
dieser Hinsicht keine separatistischen Ansätze aus Großbritannien.
Eine Bankenaufsicht müsse aber proportional zur Größe des
einzelnen Instituts sein. Allgemein hinken bei den Banken die Erträge
hinter her. Es müssten ertragreiche Geschäftsmodelle entwickelt
werden, damit beschäftige sich zur Zeit die ganze Branche. Es gäbe
wegen des weiter hohen Kostendrucks immer noch zu viele Banken. In
Deutschland sähe er eine Bankenkonsolidierung jedoch nur innerhalb
der Säulen. Auf jeden Fall fehlen die Erträge für die Bewältigung
der Zukunftsausgaben. Der Brexit würde nach Frankfurt nicht nur mehr
Geschäft bringen, sondern auch mehr Know-How.
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Hans-Walter Peter Berenberg (Quelle: ©EUROFORUM) |
Erwähnenswert
waren auch teilweise die Ausführungen von Friedrich Merz, heute bei
Blackrock.
Er schätzt die
Aufgabe von TPP (Transpazifisches Handelsabkommen) durch Donald Trump
als schwerwiegender ein, als die von TTIP (Nordatlantisches
Handelsabkommen), weil es dem Aufstieg Chinas in die Hände spiele,
womit die Amerikaner ihren eigenen Handlungsspielraum einschränkten.
Man sei mitten in einem Kulturkampf zwischen den freiheitlichen
Gesellschaften und autoritären Regimen. Man sollte den Brexit als
Chance für eine Neuformulierung europäischer Aussen- und
Sicherheitspolitik sehen.
Merz bezeichnet den neuen französischen
Präsidenten Emanuel Macron als die letzte Chance der V.
Französischen Republik. Bei seinem Scheitern könnten danach nur
noch links- oder rechtsextreme Kräfte in Frankreich an die Macht
kommen. Man sollte daher Macron maximal unterstützen. Warum sei zum
Beispiel ein deutsch-französisches Telekomunternehmen nicht
vorstellbar? Nationale und europäische Kartellvorschriften seien zum
Teil anachronistisch. Man müsse Veränderungen in der
Wirtschaftsentwicklung über die Angebotsseite herbei führen und
nicht durch einen verschuldungsbasierten Nachfragekonsum. Dafür gäbe
es aber keine politisch tragfähigen Mehrheiten.
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Friedrich Merz Blackrock (Quelle: ©EUROFORUM) |
Fazit
Der deutsche
Finanzbranche gelingt auch zehn Jahre nach der Finanzkrise kein
Durchbruch bei den Erträgen und im Thema Konsolidierung. Die Schuld
an der schwachen Ertragslage schiebt man der Geldpolitik der EZB zu
und fordert umso mehr eine schnelle Zinswende. Das ist weder
innovativ noch sonst wie zukunftsorientiert. Säulenübergreifende
Fusionen bleiben hierzulande eine Gotteslästerung und von der
Politik ist dabei keine Abhilfe zu erwarten, da gerade die
Landespolitiker von diesem Zustand am meisten profitieren.
Technologisch hinken ganz Deutschland und besonders die deutsche
Finanzindustrie schon lange anderen Ländern hinterher. Einen Grund
für diesen desolaten Zustand erkennt man auf dem wichtigsten
Branchentreffen in Deutschland: Es sind seit Jahren immer wieder die
gleichen Gesichter bei den Protagonisten. So lange das so ist, wird
sich hier auch nichts ändern. Man will bei allen Institutionen, ob
Banken, Zentralbanken, Aufsicht,Verbänden und auch in der Politik
endlich neue Verantwortliche sehen, die dann hoffentlich auch einmal
die Kurve in Richtung Zukunft kriegen.
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Clubsessel und Lichteffekte Innenansicht der Tagung (Quelle: ©EUROFORUM)
Bitte beachten Sie auch den Beitrag über die gleiche Veranstaltung vom Vortag unter:
Luxemburg bietet Brexit-Flüchtlingen viele Vorteile von Thomas Seidel |
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